Der Berg schreit! Zur Herkunft der tiefen Risse auf der Kuppe des Rammelsberges
Von Katharina Malek-Custodis und Georg Drechsler
Seit Jahrtausenden wird im Rammelsberg bei Goslar Erz gewonnen. Grundlage hierfür sind zwei große Kompaktlagerstätten: das Alte und das Neue Lager. Während das Alte Lager an die Oberfläche ausbeißt und daher schon früh in Abbau genommen wurde, liegt das Neue Lager viel tiefer und wurde erst im 19. Jh. entdeckt. Die Rammelsberger Lagerstätte ist mit ca. 27 Millionen Tonnen Gesamtroherzgehalt eine der größten Kompaktlagerstätten der Welt. Es handelt sich dabei vor allem um Zink, Blei und Kupfer. Hinzu kommen noch Silber und Gold. An der Oberfläche lässt sich das riesige Ausmaß des Bergbaus jedoch kaum erahnen. Nur vereinzelt sind Spuren wie z.B. Hohlwegbündel vom Abtransport der Rohstoffe oder Schürfe von der Erzsuche zu erkennen. Auch die imposanten Tagesanlagen des modernen Bergwerks lassen nur im Ansatz einen Rückschluss auf die immense Größe des Grubengebäudes im Inneren des Berges zu.
Im indirekten Zusammenhang mit den bergbaulichen Vorgängen stehen weithin sichtbare Strukturen, die sowohl im Gelände als auch im Luftbild und vor allem im digitalen Geländemodell zu sehen sind. Es handelt sich um Spalten, die sich fast auf der gesamten westlichen Bergflanke bis zur Kuppe erstrecken. Das Areal ist etwa 300 x 100 m groß, während einzelne Spalten bis zu 100 m lang sind. Ihre genaue Tiefe lässt sich nicht mehr abschätzen, da sie sich über Jahrhunderte wieder verfüllt haben. Durch die ausgedehnten Communion-Steinbrüche, die bis 1920 betrieben wurden, wurde ein Großteil der Spalten am Berg abgetragen. Im Süden können aber noch einige Ausläufer entlang der Steinbruchkante nachvollzogen werden. In voller Länge sind sie heute noch auf der Kuppe erhalten.
Schriftlich erwähnt ist ein Ereignis am 30. November 1585 nachdem sich „[…] in der gruben ein gewaltig Krachen hören lassen […]“ hat (Bornhardt 1931, 185). Eine erste Darstellung, die einen Eindruck der Größe vermittelt, erfolgte bereits auf dem ältesten bekannten Riss des Rammelsberges von Jochim Christoph Buchholtz 1680 ist am oberen Rand ein dunkler Streifen zu erkennen, in dem das Wort „Bruch“ vermerkt ist. In einem 1712 durch Johann Just Schreiber erstellten Riss ist dieselbe Struktur eingezeichnet und zusätzlich als „Bruch am Tage“ mit seinen Ausmaßen von 116 x 12 Lachter (ca. 223 m x 23 m) angegeben. Der Zusatz „am Tage“ weist darauf hin, dass es sich nicht etwa um einen Steinbruch handelt, sondern um einen Tagebruch.
Unter einem Tagebruch wird im Bergbau ein Bergschaden verstanden, der sich bis an die Oberfläche auswirkt. Konkret bedeutet das, dass ein untertägiger Hohlraum zusammenstürzt, das Gestein darüber einbricht und so ein Loch an der Oberfläche entsteht. Je größer der eingestürzte Hohlraum ist, desto weitläufiger sind die Auswirkungen oben. Solche Vorgänge sind in Bergbaugebieten bis heute nicht ungewöhnlich. Im glücklichsten Fall sackt nur die Verfüllung eines alten Schachtes durch einen nicht mehr tragfähigen Grubenausbau in sich zusammen, wodurch im Gelände eine Pinge entsteht. Solche sind in Bergbauregionen allgegenwärtig. Gravierender ist es jedoch, wenn nicht nur eine Verfüllung, sondern das ganze Gebirge über einen Hohlraum in Bewegung gerät. Durch die besondere Geologie der Rammelsberger Lagerstätte, wurde das Erz hier nicht nur entlang von schmalen Gängen abgebaut, sondern über mehrere Sohlen hinweg in großen Weitungen. Die Dimensionen eines Tagebruches konnten dementsprechend gewaltiger ausfallen. So fährt die oben erwähnte Schriftquelle fort, dass „[…] eine grosse weitunge Im Berge […] bis zu Tage hinaußen eingetreten […] daß ein groß gewaltig hauß darein versenkett werden kuntte“. An der Oberfläche stellen die Relikte dieses Ereignisses noch heute das vielleicht eindrucksvollste Merkmal des alten Bergbaus dar.
Literatur:
- Bornhardt, Geschichte des Rammelsberger Bergbaues von seiner Aufnahme bis zur Neuzeit (Berlin 1931).
- Ließmann, Historischer Bergbau im Harz. Kurzführer³ (Heidelberg 2010) 141-157.
- Weichmann, Steinreicher Rammelsberg. Zur Geologie der Lagerstätte. In: R. Roseneck (Hrsg.), Der Rammelsberg. Tausend Jahre Mensch-Natur-Technik, Bd. 2 (Goslar 2002) 112-125.