Heiligenberg – Frühmittelalterliche Burg, spätmittelalterliches Prämonstratenserstift, Vorwerk, Forsthaus

Von Simone Arnhold und Friedrich-Wilhelm Wulf

Wenige Kilometer südlich von Bruchhausen-Vilsen (Ldkr. Diepholz) liegen etwa 500 Meter südlich der Ortslage von Homfeld auf einem spornartigen Plateau oberhalb der Bachniederung „Obere Eyter“ die mächtigen Wallanlagen einer frühmittelalterlichen Burganlage. Diese verfügt über eine etwa 3,6 Hektar große Hauptburg, die von einer heute noch bis zu acht Meter hoch erhaltenen  Wallgrabenbefestigung umgeben ist, und zwei südlich vorgelagerte Vorburgen mit deutlich geringer dimensionierten Wall-Grabenlinien. Alle Wall- und Grabenführungen nutzen die natürlichen Geländegegebenheiten zweier tiefer und steiler Bachschluchten im Norden und Osten strategisch optimal aus. Die mächtigste Wallbefestigung der Hauptburg ist gegen die ebenerdige, westliche und südwestliche Flanke gerichtet. In gut einem Kilometer Entfernung führt hier die alte Wegeverbindung von Nienburg nach Bremen, die heutige Bundesstraße 6, vorbei. Der Wall hat hier eine Sohlbreite von bis zu 20 Metern; der ehemals vorgelagerte Graben ist verfüllt. Im gesamten nordwestlichen Bereich ist keine Wallführung erhalten, da sie laut älteren Augenzeugenberichten vermutlich in das Bachtal der Eyter hineingeschoben wurde. Die Zufahrt erfolgte durch ein Tor im Westbereich der Hauptburg; im Nordostbereich führt ein weiteres Tor in Richtung Klostermühle. Die deutlich kleinere innere Vorburg umfasst nur eine Fläche von etwa 0,65 Hektar, die äußere Vorburg knapp vier Hektar. Haupt- und Vorburgen bilden eine geschlossene Gesamtanlage mit etwas über acht Hektar Gesamtfläche. Nach der historischen Überlieferung erfolgte im Jahre 1218 eine Schenkung der Burganlage an den Prämonstratenserorden, der hier die Abtei „Mons sancte Marie“ in „locus heiligbergh“ gründete. Inwieweit zu dieser Zeit noch Gebäude aus der Burgenzeit erhalten waren und ob diese durch die Ordensleute eine Nachnutzung erfuhren, ist den historischen Quellen nicht zu entnehmen. Das Prämonstratenserstift wurde im Zuge der Säkularisierung im Jahre 1535 durch den Grafen Jobst II. von Hoya aufgehoben. Der Gebäudebestand umfasste bei einer Bestandsaufnahme im Jahre 1563 eine alte verfallene Kirche, einen hölzernen Glockenturm, einen alten Stall bei der Kirche, ein kleines Haus, zwei Vorratshäuser, ein Backhaus, ein Siechenhaus, ein Pförtnerhaus, ein Haus mit Keller, ein Vorwerkhaus mit Mühle sowie zwei weitere Mühlen. Zwischen 1560 und 1563 wurden auf Veranlassung des Grafen Albrecht II. von Hoya die Stiftsgebäude gesprengt und als Steinbruch zum Ausbau der gräflichen Residenz und der Errichtung der Amtshäuser in Bruchhausen genutzt. Bis auf das stehen gelassene Vorwerkgebäude soll das Gelände eingeebnet gewesen sein. Danach diente Heiligenberg den Celler Herzögen bei ihren Aufenthalten in Bruchhausen als Jagdrevier. 1794 wurde auf dem Heiligenberg im ehemaligen Vorwerkhaus ein neuer Amtssitz für den „Reitenden Förster“ eingerichtet, der bereits damals eine Schankerlaubnis zur Bewirtung von Jagdgesellschaften und auch anderen Besuchern erhielt. Möglicherweise verbergen sich im Fundamentmauerwerk des heutigen Hotelrestaurants „Forsthaus Heiligenberg“, das auf das historische Forsthaus zurückgeht und etwa im Zentrum auf dem höchsten Platz der Hauptburg liegt, noch letzte Reste des Gebäudes aus der Zeit des Prämonstratenserstifts. Das umgebende Gelände wurde als Ackerland, Weide, Obstwiese sowie Kräuter- und Gemüsegarten bewirtschaftet. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestand im Südosten der Hauptburg eine größere Freilichtbühne.

Die eindrucksvollen Befestigungen auf dem Heiligenberg gerieten erstaunlich spät in das Blickfeld der Archäologie, obwohl es sich um die drittgrößte frühmittelalterliche Burg des ehemaligen  Regierungsbezirks Hannover handelt. Die Anlagen auf dem Heiligenberg wurden im Oktober 1938 unter Landschaftsschutz nach dem Reichsnaturschutzgesetz gestellt. 1962 erfolgte eine erste komplette kartographische Aufnahme der Anlagen. Nach einer kleinflächigen archäologischen Baubeobachtung im Mai 1979 ohne Funde war die erste größere archäologische Untersuchung im Spätherbst 2011 erforderlich, da ein neues Gästehaus mit Garage errichtet werden sollte. Im Vorfeld der Bauarbeiten wurde der überplante Bereich durch die Grabungsfirma denkmal3D, Vechta, zunächst durch Sondagegräben prospektiert. Darin zeichneten sich nach dem Abtrag des Oberbodens fast auf der gesamten Fläche Siedlungsbefunde in Gestalt von Pfostenlöchern und Gruben im anstehenden lehmigen Sandboden ab. Daraufhin wurde das gesamte von den geplanten Baumaßnahmen betroffene Areal mit einer Fläche von knapp 1000 Quadratmetern in einer vierwöchigen Ausgrabung unter der Leitung von A. Hummel archäologisch untersucht. Von den knapp 100 dokumentierten Befunden konnte zunächst keine der frühmittelalterlichen Datierung des Burgwalles zugewiesen werden. Neben Gruben unterschiedlicher Funktion handelt es sich in erster Linie um Pfostengruben des hohen und späten Mittelalters. Mit Durchmessern von über einem Meter und einer Tiefe bis zu 0,9 Meter waren die Pfostengruben außergewöhnlich breit und tief. Im Grabungsplan zeichnet sich ein dreischiffiger Gebäudegrundriss mit einem breiten Mittel- und zwei schmalen Seitenschiffen von etwa 13 x 15 Metern bzw. 18,5 Metern Breite und 36,5 Metern Länge ab. In den Pfostengruben fand sich neben Ziegelbruch Keramik aus dem hohen und späten Mittelalter sowie der frühen Neuzeit. Demnach ist anzunehmen, dass das Gebäude in der Zeit des Prämonstratenserstifts errichtet oder zumindest noch weiter genutzt wurde. Die Ausmaße des Pfostenbaus sowie die Größe und Tiefe der Pfostengruben deuten auf ein Gebäude hin, das ein stattliches Dach getragen haben muss. Es könnte sich um eine große Zehntscheune, eine Lager- oder eine Versammlungshalle handeln; auch ein hölzerner Kirchenbau ist nicht auszuschließen. Eine neun mal sieben Meter große Lehmentnahmegrube wenig südwestlich des großen Pfostenbaus lieferte den Lehm für die Wandverkleidung des Gebäudes. Die frühmittelalterliche Entstehung und bis ins Hochmittelalter reichende Nutzung der Burganlage auf dem Heiligenberg wird nicht nur durch eine größere Anzahl von früher Kugeltopfkeramik bestätigt, sondern vor allem durch zwei Kreuzemailscheibenfibeln des 9./10. Jahrhunderts. Beide Stücke konnten leider nicht in Befunden freigelegt werden; sie wurden während der grabungsbegleitenden Metalldetektorprospektion außerhalb der Grabungsflächen geborgen. An spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Funden sind vor allem Keramikfragmente von Ess- und Vorratsgeschirr, wenige Bruchstücke von glasierten Kachelöfen, von grünem Fensterglas mit zugehörigen Bleifassungen sowie meist stark  durchkorrodierte Eisengegenstände zu nennen. Zahlreiche Bleigeschosse und ein Flintenstein eines Steinschlossgewehres sind Zeugen von kriegerischen Zwischenfällen oder von der vor Ort betriebenen Jagd. Aus Kupferlegierungen wurden eine kleine Schnalle, ein zerbrochener Löffel, ein Fingerhut, verschiedene Knöpfe, ein Fragment eines Zapfhahns, ein Knauf eines Gehstocks u. a. m. gefertigt. Die wenigen während der archäologischen Untersuchungen geborgenen Tierknochen sind als Speiseabfälle zu deuten. Im Winter 2012/2013 wurde das Gebiet um den Heiligenberg auf einer Gesamtfläche von 4,5 Quadratkilometern als eines der ersten Geländedenkmale in Niedersachsen mit dem sogenannten Airborne-Laserscan-Verfahren von einem Flugzeug aus mit einem Laser dreidimensional vermessen. Diese Maßnahme konnte von der Fa. TopScan, Münster, in Kooperation mit der Fa. denkmal3D, Vechta, durchgeführt werden. Durch die Möglichkeit einer Darstellung ohne die heutige Vegetation zeigt sich eindrucksvoll, wie optimal die topografische Lage der Wallbefestigungen unter Ausnutzung des natürlichen Geländeschutzes gewählt wurde. Ebenfalls im Winter 2012/2013 erfolgte eine umfassende geophysikalische Prospektion zur Ermittlung von untertägig erhaltenen Baubefunden innerhalb und auch außerhalb der Hauptburg durch die Fa. Schweitzer GPI aus Burgwedel.

Zur Überprüfung der hierbei festgestellten Befunde wurden von dem Bodenkundler des NLD, Andreas Niemuth, insgesamt 30 Bohrprofi le angelegt und analysiert. Vor allem wegen massiver Bauschuttüberdeckung des gesamten Süd- und Ostbereiches konnten leider nicht die erhofften Grundrisse ehemaliger Stiftsgebäude nachgewiesen werden. Während der zeitgleich von Harald Nagel und Veronika König vom NLD durchgeführten Detektorprospektion kam im Bereich der südlichen Pferdeweide neben zahlreichen neuzeitlichen Metallobjekten ein ganz besonderer Fund zutage: ein Fuß eines romanischen Kerzenleuchters aus Messing. Der Fuß ist als geflügelter Drache modelliert und hat seine besten Parallelen in gut datierten Leuchtern der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Er gehört somit vermutlich zur Erstausstattung des Prämonstratenserstifts. Laut dem bei der Aufhebung des Stiftes im Jahre 1535 verfassten Inventar gehörten zum Bestand der liturgischen Geräte „III missingsluchter dormede ist einer entwei gewest“ (Drei Messingleuchter, davon ist einer entzwei gewesen). Im Sommer 2014 wurde vom NLD mit finanzieller Unterstützung der Samtgemeinde Bruchhausen-Vilsen ein Schnitt durch die Wall-Grabenbefestigung der äußeren südlichen Vorburg angelegt. Zweck der Untersuchung war es vor allem, die Konstruktion und das Alter des Walles zu klären. Es scheint sich um eine reine Erdkonstruktion zu handeln, die weder durch Holz- noch Steineinbauten verstärkt war. Die keramischen Funde im Wallkörper lassen sich ins hohe Mittelalter datieren. Durch die bis Ende 2016 durchgeführten Untersuchungen konnten im Bereich der Klosterfläche keine direkten Hinweise des hier von den Prämonstratensern errichteten Stiftsgevierts nachgewiesen werden. Seit 2018 werden die Ausgrabungen auf dem Heiligenberg in einer Kooperation des NLD mit dem Seminar für Orientalische Archäologie und Kunstgeschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg fortgesetzt. Während der ersten beiden Kampagnen wurde das östliche Gelände der Ringwallanlage untersucht und 2020 ein Schnitt westlich der Grabungsfläche von 2011 angelegt. Die Ausgrabungen zielten vor allem auf die Klärung der baulichen Strukturen des Chorherrenstifts, wovon in seinem Osten zwei massive Schuttstraten zeugen. Sie untergliedern die Stiftszeit in zwei Phasen. Über  Keramik lässt sich das erste Stratum aus vorwiegend großformatigem Backstein- und Ziegelbruch in das 14. Jahrhundert datieren und wird derzeit mit einer Umbauphase in Verbindung gebracht. Innerhalb dieser Schicht wurde 2019 ein Petschaft aus einer Kupferlegierung gefunden, das in das späte 14. Jahrhundert einzuordnen ist – das persönliche Siegel eines jüdischen Pfandleihers aus Bremen. Die jüngere Schuttschicht beschließt in diesem Areal das Ende der monastischen Anlage, das aus historischen Quellen recht gut belegt ist. 1535 wurde die Anlage im Zuge der Reformation säkularisiert und ging in den Besitz der Grafen von Hoya über. Auffallend sind hier das überwiegend kleinteilige Schuttmaterial, glasig verschlackte Backsteinfragmente sowie Asche und Holzkohle. Der dadurch belegte Brand könnte mit zwei Begebenheiten in Zusammenhang stehen: Zum einen zog 1499 die „Schwarze Garde“ plündernd durch das Gebiet und verschonte auch Heiligenberg nicht. Allerdings sind keine historischen Quellen bekannt, die eine Brandschatzung des Stifts belegen. Ein Drost von Alt-Bruchhausen notiert zu Beginn des 17. Jahrhunderts, der 1563 verstorbene Graf Albrecht II. von Hoya habe die Stiftsgebäude zum Abbruch verkauft und den verbleibenden Rest „sprengen und niederwerfen“ lassen. Die deutlich kleinteiligere und besonders weitflächig ausgebreitete obere Schuttschicht ließe sich in ein solches Szenario einfügen, doch konnten archäologisch noch keine eindeutigen Belege für eine entsprechende Zeitstellung vorgelegt werden. Interessanterweise brach die Nutzung des Heiligenbergs nach dieser Zerstörung nicht vollständig ab. Ein kleines Bauwerk wurde unmittelbar auf dem damaligen Laufhorizont errichtet, ohne dass eine geeignete Fundamentierung angelegt wurde: Eine verkippte Mauerecke aus einschaligem Backsteinmauerwerk mit einer erhaltenen Höhe von 1,8 Metern konnte 2019 freigelegt werden. Ein Teil der verwendeten Backsteine wies deutliche Anzeichen von Überfeuerung auf und zudem mehrere dicke Mörtelpakete sowohl an der Innen- als auch an der Außenwandseite. Es handelt sich somit um sekundär verwendetes Baumaterial, das für die Errichtung eines kleinen Gebäudes Verwendung fand. Unter der Prämisse, dass die betreffende Schuttschicht in die frühe Neuzeit datiert, könnte sich hier möglicherweise eine rurale Nutzung der Ringwallanlage unmittelbar an das Ende des Klosters Heiligenberg anschließend dokumentieren. Die Ausgrabung 2020 schloss sich westlich an die 2011 frei gelegte Fläche mit dem angeschnittenen Pfostenbau an. Aufgrund des rezenten Bewuchses der Fläche mit Obstbäumen konnte lediglich der Innenraum der Gebäudestruktur ausgegraben und somit seine Ausdehnung erfasst werden. Es gelang die Freilegung von drei weiteren, teils sehr tiefen Pfostengruben – die mächtigste im Osten des Schnitts zeigte einen Durchmesser von 1,4 Metern und konnte über 1,2 Meter vom Planum in den Boden verfolgt werden, wo sich der untere Bereich der Postengrube als schwarzes organisches Band abzeichnete. Auf der Innenfläche des Bauwerks und auch in den Pfostengruben konnte keinerlei Fundmaterial geborgen werden. Im westlichen Areal des Schnitts gelang auf einer Länge von drei Metern die Freilegung einer noch größeren Grube, die sich als weißes 30 Zentimeter starkes Schichtpaket im Profil abzeichnete und als Mörtelmischgrube angesprochen werden kann. Darunter befand sich ein sehr dunkles, etwa 0,5 Meter mächtiges Schichtpaket aus aschereichem Sediment mit Holzkohle und großformatigen Keramikscherben von Kugeltöpfen und wenigen Kugelkannen durchsetzt. Die Keramik weist in das ausgehende 12. Jahrhundert bis wenige Jahrzehnte darüber hinaus, sodass von einer Vorgängernutzung des untersuchten Areals vor der Gründung des Chorherrenstifts auszugehen ist. Eine Analyse der Keramik sowie des reichen Probenmaterials steht noch aus. Vom 13. September bis zum 8. November 2020 zeigte eine Ausstellung im Kreismuseum Syke die bisherigen Grabungsergebnisse sowie den historischen Rahmen des Heiligenbergs; ein Ausstellungsband ist vor Ort erhältlich.

Literatur:

Arnhold, S., Elmshäuser, K. , Hucker, B. U. ,Niemuth, S., Schweitzer, C. & Wulf, F. W. (2020). In: S. Arnhold (Hrsg.): Heiligenberg – Ausgrabungen, Funde, Geschichte. Begleitband zur Sonderausstellung vom 13.09.–08.11.2020 im Kreismuseum Syke. Syke.

Thalmann, S. (2010). Zur Frühgeschichte des Prämonstratenserstifts Heiligenberg in der Grafschaft Bruchhausen. Ein Annäherungsversuch,. In: Oldenburger Landesverein für Geschichte, Natur- und Heimatkunde e.V. (Hrsg.): Oldenburger Jahrbuch Geschichte, Kunstgeschichte, Archäologie, Naturkunde, Bibliographie. Jg. 110. (S. 11–29.). Oldenburg: Isensee Verlag.


Der Text wurde erstmals veröffentlicht in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 40. Jg. (2020), Heft 4, S. 37-42.

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