Gebietsfreischaltung in der Bau- und Kunstdenkmalpflege: Die Stadt Stadthagen
Von Marie Ellersiek
Als militärischer Stützpunkt von besonderem Rang im Norden des Territoriums der Schaumburger Grafen wird Stadthagen in der Ebene zwischen Bückeberg im Süden und Schaumburger Wald als überkommener Rest des Dül-Urwaldes im Nordwesten um 1220 gegründet.
Der Grundriss des Stadtkerns von Stadthagen geht in seiner ovalen planmäßigen Struktur auf die spätmittelalterliche Anlage einer Leiterform zurück, welche auch heute noch gut erkennbar ist. Das Gitternetz zwischen den zwei längsausgerichteten, parallel verlaufenden Hauptachsen wird im Norden an der sog. Krummen Straße durch eine Unregelmäßigkeit unterbrochen. Dort, an der Krummestraße, vermutet man den Anschluss an den Hellweg zwischen Minden und Hannover. Das Rodungsgebiet im Norden des Weserbereiches war umkämpftes Siedlungsland. Die Grafen von Roden, das Bistum Minden und das Schaumburger Grafenhaus machten jeweils Ansprüche der Binnenkolonisation geltend. Der Bruchhof im Südwesten des heutigen Stadtgebietes gründet auf einer mittelalterlichen Wasserburg des Ritters Mirabilis v. Broke, deren Existenz eine der wohl frühesten befestigten herrschaftlichen Siedlungsstrukturen des Stadthäger Gebietes bezeugt. Bei der planmäßigen Rodung und Besiedelung des Dülwaldes der Stadthäger Ebene wurde nach dem speziellen System der Hagenhufenkolonsiation verfahren; die Hagenhufendörfer (darunter Probsthagen, Krebshagen) entstanden. Sie erstrecken sich oftmals kilometerlang entlang einer Straße mit davon abgehenden gleichförmigen Parzellen mit einseitigen Hofstellen mit Weideland, gegenüberliegend schmale Ackerstreifen.
In den Jahren zwischen 1534-45 erfolgte der Ausbau der landesherrlichen Wasserburg, bislang Eckbastion im Südosten des die Stadtumgrenzung markierenden Wallrings, zum Residenzschloss. Bis 1607 verlieb Stadthagen der Status der Residenzstadt, die in diesem Zusammenhang entstandenen repräsentativen bzw. verwaltungstechnischen Bauwerke sind bis heute stadtbildprägend und zeugen von dem durch den Einfluss des Landesherren begünstigten Wohlstand der Stadt. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang das Mausoleum, errichtet für den 1619 in den Fürstenstand gehobenen Graf Ernst als Annex der Martini-Kirche, oder auch die nordöstlich vom Martinikirchhof gelegene Lateinschule, welche 1565-1568 erbaut wurde, rund ein halbes Jahrhundert später ihr Pendant in Bückeburg fand und für die kulturelle Blüte infolge der Reformationszeit steht. Durch die Präsenz des Landesherren geprägt war auch die Ansiedlung der sogenannten Freihöfe: in unmittelbarerer Nähe zur Stadtbefestigung waren die Ministerialen im Dienste der Schaumburger Grafen und späteren Fürsten angesiedelt. Diese Burgmannenhöfe (u. a. Landsberg, Oheimb, Münchhausen, Dolle, Mädel) waren die städtischen Anwesen der Ministerialen, die ihre eigentlichen Rittersitze vor den Toren der Stadt hatten, wie im Beispiel der Famile von Münchhausen in Reinsen-Remeringhausen oder derer von Oheimb in Enzen. Im Verteidigungsfall jedoch mussten sie für ihren Landesherren die Stadt militärisch absichern, wofür ihnen Rechtsprivilegien bzw. Steuerfreiheit gewährt wurden. Die hoheitliche landesherrliche Verwaltung und das Gericht auch für die umgebenen Dörfer hatte ihren Sitz in der sogenannten Amtspforte am ehem. südlichen Stadteingangstor an der Obernstraße unweit des Schlosskomplexes mit Zehntscheune.
Stadtmittelpunkt ist auch heute noch der längsrechteckige Marktplatz, von welchem alle wichtigen innerstädtischen Verbindungsachsen abgingen. Mit seiner durch und durch heterogenen Bebauung, darunter Wohn-/Wirtschaftsgebäude des 16.-18. Jahrhunderts in beispielhaft ausgeprägten Fachwerk- bzw. Bruchsteinfassaden in Weserrenaissance-Formen, sowie die Wohn- und Geschäftshäuser des 19. bzw. 20. Jahrhunderts, ist er ein wichtiges geschichtliches Zeugnis der sich verändernden Bedürfnisse an den kernstädtischen Raum und daraus resultierenden, nutzungsbedingten Anpassungsprozesse seiner Bebauung. Am Beispiel des Rathauses schlägt sich baugeschichtlich nicht zuletzt auch das Aufstreben des Bürgertums nieder; mit der Umnutzung des gräflichen Zeughauses zum Rathaus erhielten die sich sukzessive von der Einflussnahme des Landesherren emanzipierenden Bürger einen neuen Versammlungsort.
Im 19. Jahrhundert erweiterte sich durch den Anschluss an die Bahnlinie Hannover-Minden der städtische Raum maßgeblich. Mit Errichtung des Personen- und Güterbahnhofes im Nordwesten der Stadt ab 1847 erhielt Stadthagen die neue Ausfallstraße Bahnhofstraße mit zahlreichen Beispielen repräsentativer Wohnhäuser des mittleren und gehobenen Bürgertums. Mit der großflächigen Ansiedlung von Industrie und dem Zuzug von Arbeitskräften aus dem ländlichen Umland sowie durch Bevölkerungszuwachs ging auch eine Verdichtung und Erweiterung der Randgebiete einher. Wichtigstes und wohl auch bekanntestes technik- und wirtschaftsgeschichtliches Zeugnis des bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts erfolgten, aber im ausgehenden 19. Jahrhundert intensivierten Steinkohleabbaus ist das heute stillgelegte Bergwerkgelände des Georgschachtes mit dem herausragenden Industriedenkmal-Komplex von Kohlenkirche und Elektrischer Zentrale im Südwesten der Stadt.