Gebietsfreischaltung in der Bau- und Kunstdenkmalpflege: Die Stadt Salzgitter

von Simone Thulke

Die heutige Stadt Salzgitter mit über 1000 Baudenkmalen ist eine recht junge Stadt, sie wurde erst 1942 gegründet und gehört zu den bedeutendsten Stadtgründungen des 20. Jahrhunderts. Das Stadtgebiet erstreckt sich über 224 Quadratkilometer zwischen Braunschweig im Norden und dem Landkreis Goslar im Süden. Mit der Stadtgründung, welche auf die Autarkiebestrebungen des Dritten Reiches zurückzuführen ist, wurde ein großer Teil der umliegenden Ortschaften benachbarter Landkreise eingemeindet, die Salzgitter heute noch landwirtschaftlich prägen. Das kontrastreiche Stadtgebiet wird somit auf der einen Seite durch jahrhundertalte Bauten der Dörfer mit den teilweise noch aus dem Mittelalter stammenden Kirchen und Burgen, den Hofanlagen mit ihren Fachwerkbauten und den Gutsanlagen ländlich, auf der anderen Seite durch die großen Industrieanlagen und Wohnsiedlungen des 20. Jahrhunderts städtisch geprägt.

Zu den ältesten historischen Zeugnissen im Salzgittergebiet gehört die Burg Lichtenberg. Die Burganlage befindet sich im Nordwestteil des Salzgitteraner Höhenzuges oberhalb des Stadtteils Lichtenberg. Es handelt sich hier um die Reste einer ortsgeschichtlich bedeutsamen baulichen Anlage der einstigen hochmittelalterlichen Höhenburg mit umfangreichen Fundament- und Mauerresten sowie einem anstelle des alten Bergfrieds errichteter sechseckiger Aussichtsturm von 1893, der zusammen mit der Gaststätte, dem ehemaligen Waldhotel Burgberg errichtet wurde.

Die Burg Gebhardshagen ist eine aus einer mittelalterlichen Wasserburg hervorgegangene Anlage und war im 16. Jahrhundert herzoglicher Gerichts- und Amtssitz. Als spätere Domäne mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, dem Parkgelände, den Freiflächen und einem Teich gehört die Anlage zu einer der bedeutsamsten Denkmale im Stadtgebiet Salzgitter.

Das Kanonissinnen Stift Steterburg bei Thiede im Norden des heutigen Stadtgebietes wurde bereits 1007 durch Frederunda, der Tochter des Grafen Altmann von Oelsburg an der Stelle der unmittelbar daneben liegenden frühmittelalterlichen Steterburg gegründet. Im 12. Jahrhundert wurde es in ein Augustinerchor- Frauenstift umgewandelt, die  Stiftsgebäude während des Dreißigjährigen Krieges weitestgehend zerstört. Der Wiederaufbau der Klostergebäude begann Mitte des 17. Jahrhunderts, 1691 wurde das Kloster durch die Herzöge Rudolf August und Anton Ulrich in ein freiadeliges Stift umgewandelt. Aus dieser Zeit stammen die Konventsgebäude südlich der Kirche. Der Umbau des alten Klosters sowie die Neuerrichtung der barocken Stiftskirche wurden im 18. Jahrhundert durchgeführt.

Die jüngere Stadtgeschichte resultiert aus den reichen Bodenschätzen der Region. Vor allem das Eisenerzvorkommen, welches bereits im 14. Jahrhundert bekannt und der Grund für die Standortwahl der Nationalsozialisten war, um 1937 die Reichswerke für Erzbergbau und Eisenhütten zu gründen, leitete sowohl die wirtschaftliche Entwicklung als auch die Umstrukturierung des gesamten, früher weitgehend agrarischen Gebietes ein. Die Bodenschätze sowie die im Reich verkehrsgünstige Lage sorgten dafür, dass bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein wichtige Industriebauten und Wohnsiedlungen errichtet wurden. Dabei entwickelten sich große Teile der Flur um Watenstedt zum Industrieaufbaugebiet, die Mehrheit der Landwirte wurde umgesiedelt und die Ländereien von der Güterverwaltung der Reichswerke übernommen.

Zu den  wichtigsten Industriedenkmalen im Salzgittergebiet zählen die Stahlwerke bei Watenstedt. Bei der ursprünglichen Gesamtanlage handelt es sich um ein herausragendes und einmaliges Beispiel einer kompletten Neugründung mit einer zeitgenössischen und fortschrittlichen Werkskonzeption und bedeutenden Einzelobjekten. Mit Gründung der Reichswerke zur Förderung und Aufbereitung einheimischer Erze und Verhüttung vor Ort wurde auch die Planung für ein Kraftwerk in Auftrag gegeben, welches für die Versorgung der Hütte, des Erzbergbaus, der noch zu planenden "Hermann-Göring-Stadt" und der anderen Konzernbetriebe im Gebiet sowie die Abgabe von Strom in das öffentliche Netz bewerkstelligen sollte. Das zentrale Kraftwerk innerhalb der Anlage des Stahlwerkes wurde als imposanter Klinkerbau in typischer monumentaler Gestaltung der NS-Architektur ausgeführt. Aus Luftschutzgründen wurden zwei getrennte Kraftwerksanlagen A und B mit je einem Kessel- und einem Maschinenhaus errichtet.

Mit der Werksgründung strömten zahlreiche Arbeiter in das größte Aufbaugebiet des damals vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Gebiets. Für die Angestellten der Hüttenwerke und ihre Familien musste Wohnraum geschaffen werden. Die Planungen für die insgesamt sechs Wohnsiedlungen in Lebenstedt stammen von dem Architekten- und Stadtplaner-Team Herbert Rimpel, Walter Tralau, Werner Hebebrand und Wilhelm Heintz. Als eigenständige Siedlungskörper besitzen die beiden unter Schutz gestellten Siedlungen Lebenstedt I und II, die in der Zeit von 1939 bis 1945 als die ersten zwei Bauabschnitten für die östliche Vorstadtsiedlung der geplanten "Hermann-Göring-Stadt entstanden sind, die typischen Formen des nationalsozialistischen Siedlungsbaus. In der Ostsiedlung und Westsiedlung in Salzgitter-Bad erprobte ab 1938 das Architektenteam mit der sogenannten Versuchssiedlung in der Veronikastraße und in der Hertastraße unterschiedliche Haustypen, Bauweisen und Materialien. Das Grundmuster besteht aus Siedlungszellen mit einer klar gegliederten Anordnung von Gebäudegruppen, die die Bildung von Nachbarschaften nach historischem Vorbild erzeugen. Städtebauliche Besonderheiten wie Torbögen, Hofdurchgänge, Arkaden, Loggien, Fachwerkerker und Details wie Blumenfenster zeigen Züge der vom Heimatschutzstil geprägten Architektursprache. Die Siedlungen stellen mit ihrer städtebaulichen Anlage der Gebäude ein zeit- und architekturgeschichtliches Dokument des Städtebaus der 1930er und 1940er Jahre dar.

Im Zuge der Reichswerkentstehung entstanden um Watenstedt herum zahlreiche Arbeitslager, von denen heute nur noch wenige Zeugnisse vorhanden sind. 1942 wurde etwa auf dem Werksgelände der ehemaligen Reichswerke in Salzgitter Drütte ein Außenlager des Konzentrationslagers Neuegamme aufgebaut, deren Häftlinge für die Rüstungsproduktion in den Werken eingesetzt wurden, bis 1945 das Lager geräumt worden ist. Bereits zu Beginn der 1990er Jahre wurde auf Initiative des Arbeitskreises Stadtgeschichte e.V. eine Gedenk- und Dokumentationsstätte eingerichtet, 2022 neugestaltet und umfangreich erweitert. Die heutige Dauerausstellung des Konzentrationslagers Drütte befindet sich in vier der ehemaligen Unterkunftsblöcke im Kurvenbereich unter der Werkstraße. Die Gedenkstätte dokumentiert somit einen wichtigen Teil der Stadtgeschichte Salzgitters.

Zuletzt sei noch ein Industriedenkmal zu erwähnen, welches als eine Art Wahrzeichen von Salzgitter zu sehen ist und zu den jüngeren Baudenkmalen der Region zählt. Die Rede ist von dem Schacht Konrad I, dessen Förderturm  in der Landschaft weithin sichtbar ist. Das Eisenerzbergwerk befindet sich südöstlich von Braunschweig. Eisenerze an diesem Ort wurden bereits 1939 bis 1943 gefunden. Der Schacht Konrad I wurde in den Jahren 1957 bis 1960 abgeteuft und war für zwei Fördertürme angelegt, dabei bildete der nördliche Turm mit der nördlichen Fördermaschine und dem 1422m langen Förderseil den Hauptförderturm. Es handelt sich um das letzte noch erhaltene Fördergerüst aus der späten Blütezeit des Salzgitteraner Erzbergbaus. Der Typ Doppelbock-Fördergerüst selber stellt ein besonderes Dokument der Bergbaugeschichte und der Fördergerüsttechnologie dar, da es zu den letzten vollgenieteten Stahlbauwerken dieser Art gehört, nachdem die Schweißtechnik im Stahlbau den Stand der Technik - die Vernietung - bereits abgelöst hatte. Die Stadt Salzgitter ist alt und jung zugleicht, und so reich und vielfältig sind auch ihre Kulturdenkmale.

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