Kirche und Stift St. Lorenz in Schöningen

Von Markus C. Blaich und Richard Landwehr

Schöningen nimmt unter den Orten, die für die Geschichte des Braunschweiger Landes von Bedeutung sind, einen besonderen Rang ein: Zum Jahr 747 wurde Scahaningi zusammen mit Ohrum an der Oker (Orhaim) erwähnt – Pippin der Jüngere (reg. 751-768) und später Karl der Große (reg. 768-814) haben bei ihren militärischen Vorstößen gegen die Sachsen an diesen Orten Station gemacht und sich für mehrere Tage aufgehalten. 994 und 995 hat auch König Otto III. (reg. 983-1002) hier Hoflager gehalten.

Das Stift St. Lorenz liegt weithin sichtbar auf einer Anhöhe über Schöningen, der zugehörende Ortsteil Ostendorf gilt als mögliche Keimzelle der Stadt. Um das Jahr 984 wurde am Ort ein Kanonissenstift eingerichtet, über dessen Geschichte jedoch kaum zuverlässige Quellen vorliegen. 1120 wurde das Stift durch den Bischof Reinhard von Halberstadt aufgelöst und als Augustiner-Chorherrenstift mit Kanonikern aus Hamersleben neu eingerichtet. Das dem Heiligen Lorenz geweihte Stift zählte zusammen mit anderen Augustiner-Chorherrenstiften zu den geistlichen Zentren in Sachsen. Es verfügte über großen Einfluss in Schöningen und seiner näheren Umgebung, für mindestens 34 Orte sind Besitzungen und Pfarrrechte überliefert. 1574 wurde im Konvent die Reformation eingeführt, der Versuch zur Rekatholisierung (1629-1632) schlug fehl, so dass 1648 der Konvent endgültig aufgehoben wurde. Die Liegenschaft wurde in den folgenden Jahrhunderten teilweise als landwirtschaftliches Gut genutzt, andere Gebäude verfielen oder wurden schrittweise abgebrochen. Allein die Kirche diente als evangelische Pfarrkirche.

Die Baugeschichte der Kirche St. Lorenz ist bis heute nur in Ansätzen erforscht. Gemäß dem derzeitigen Wissensstand wurde das Kirchenschiff ursprünglich mit einer flachen Balkendecke konzipiert, erhielt aber Ende des 13. Jahrhunderts im Chor ein Gewölbe mit Kreuzrippen. Dieser Umbau wird in der Literatur immer wieder mit einem möglichen Brand der Klosteranlage im Jahr 1291 in Verbindung gebracht. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde die Kirche erneut stark beschädigt. Dabei ist unklar, ob ein großes Schadfeuer oder statische Probleme durch sackenden Boden das Hauptschiff zum Einsturz brachten. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstand als bescheidene Notlösung eine behelfsmäßige Ergänzung des Langhauses im spätgotischen Stil. Der Abschluss dieser Arbeiten lässt sich über einen Schlussstein mit der Jahreszahl 1491 datieren. Vom nördlich der Kirche gelegenen Kreuzgang sind nur geringe Reste erhalten geblieben. In einem an das nördliche Querschiff anschließenden Gang sieht man noch rot-schwarz gemalte Ranken, einen romanischen Bogen, der auf die westlich anschließende Fortsetzung hinweist, und zwei gotische Portale, die in das östliche Wirtschaftsgebäude führen. Der heute sichtbare Baubestand der Kirche lässt sich demnach vereinfachend in einen älteren, romanischen Teil (Querhaus und Chor) und einen jüngeren, gotischen Teil (Langhaus) trennen. Bemerkenswert ist ferner die Position der beiden Türme: Sie liegen ungewohnter weise im Osten der Kirche, also am Übergang von Chor zu Querhaus und nicht – wie sonst üblich – am westlichen Abschluss des Langhauses.

Im Jahr 1992 begannen im Bereich des Klosters archäologische Ausgrabungen, da der ortsansässige Golf- und Land-Club seine Liegenschaften erweitern und dazu einen Teil der ehemaligen Konventsgebäude nutzen wollte. Die Grabungen zielten vor allem darauf ab, drei Fragen zur Geschichte des Klosters zu beantworten: Sind (erstens) noch Fundamente der älteren romanischen, wohl dreischiffigen Kirche erhalten und lassen sich (zweitens) weitere, bisher nicht bekannte romanische Gebäude des Klosters erfassen? Und drittens war zu prüfen, ob sich am Ort des hochmittelalterlichen Stifts eventuell der immer wieder vermutete, aber bislang nicht nachgewiesene Königshof des 9./10. Jahrhunderts befunden haben könnte. Diese archäologischen Maßnahmen dauerten – mit Unterbrechungen – bis 2003 an. Eine umfassende Auswertung ist bisher nicht in Angriff genommen worden, so dass an dieser Stelle das Potential für eine landesgeschichtliche Betrachtung einerseits und eine bauhistorische Betrachtung andererseits nur skizziert werden kann.

Tatsächlich wurden die Fundamente eines romanischen Kreuzgangs umfassend dokumentiert, insbesondere dessen Nord- und Südflügel. Damit ist die Struktur der älteren Anlage bekannt, und mögliche Fragen zum Umbau des Klosters können genauer betrachtet werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in keiner der untersuchten Flächen ein Beleg für jenen angeblichen Brand von 1291 gefunden werden konnte (z.B. Brandschicht, sekundär gebrannte Steine/Ziegel u.ä.m.). Es muss also offen bleiben, auf welches Ereignis sich diese Überlieferung bezieht und ob das Feuer tatsächlich so großen Schaden angerichtet hat, wie immer vermutet wird. Für die Diskussion um die Nutzung der Klostergebäude ist noch relevant, dass im Nordflügel des Kreuzgangs mehrere Heizungen und nachträglich eingebaute Kellerräume freigelegt werden konnten. Die genaue Datierung dieser Einbauten ist noch zu prüfen: Stehen sie im Zusammenhang mit der Umgestaltung des Klosters im Hochmittelalter oder geben sie einen Hinweis auf die nachreformatorische Nutzung der Gebäude? Wesentlich schwieriger ist es, auf die dritte Frage nach der vermuteten karolingischen oder ottonischen curia eine Antwort zu geben. Zwei Beobachtungen könnten hier noch wichtig werden: Zwischen den romanischen Mauern wurden an mehreren Stellen Fundamente dokumentiert, die möglicherweise älter sind. Ferner konnten die Standspuren von Holzpfosten erfasst werden, die ebenfalls nicht den romanischen Gebäuden zuzuweisen sind. Damit liegen Hinweise auf mögliche Bauphasen oder gar Gebäude vor, die älter sind als die bislang erkannten Gebäudeteile. Haben am Ort des späteren Klosters bereits zu einem früheren Zeitpunkt Gebäude gestanden? Und wie groß ist der zeitliche Abstand zwischen den vermuteten Gebäuden und dem gesicherten romanischen Baubestand – bieten die anhand mehrerer Mörtelproben gewonnenen 14C-Daten ein zuverlässiges Gerüst für eine chronologische Differenzierung der Bauspuren? Alle diese Fragen können erst im Rahmen einer zukünftigen Gesamtbetrachtung beantwortet werden. Hier wären auch die über 120 mittelalterlichen Bestattungen, die in verschiedenen Bereichen des Kreuzganges gefunden wurden, einzubeziehen.

Das archäologische Fundmaterial aus Schöningen, St. Lorenz, ist – wie bei allen Kirchengrabungen – vergleichsweise spärlich: Es überwiegen Bauteile wie Dachziegel und die Scherben von Gefäßen aus Ton, hinzu kommen ferner Kleinfunde aus Buntmetall wie beispielsweise Gürtelschnallen. Es liegen aber auch Funde vor, die einen Hinweis auf die ehemaligen Bewohner des Klosters und ihre Tätigkeiten am Ort geben. Die vielleicht prominenteste Fundgruppe sind zweifelsohne die Schreibgriffel aus Buntmetall, lassen sie sich doch leicht mit dem Klischeebild des schreibkundigen und eifrigen Mönches verknüpfen.

Die langjährigen Grabungen im Augustiner-Chorherren-Stift St. Lorenz zu Schöningen haben ein landesgeschichtlich sehr bemerkenswertes und aufschlussreiches Quellenmaterial erschlossen, dessen Wert bislang nur in Fachkreisen bekannt ist. Es gilt, Fundamente, bestehende Mauern und Kleinfunde auf zeitgemäße Weise zum Sprechen zu bringen. Dieses Zusammenspiel von Archäologie und Bauforschung ist ein Desiderat der Forschung. Deutlich ist der hohe denkmalpflegerische Wert des Gebäudeensembles, dessen mögliche Umgestaltung und zukünftige Nutzung den historischen Wert der Gesamtanlage unbedingt berücksichtigen sollten: Die Klostergebäude und ihre Jahrhunderte währende Geschichte verdienen unseren Respekt!


Der Text wurde erstmals veröffentlicht in den Berichten zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 39. Jg. (2019), Heft 1, S. 26-31.

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