Schloss Derneburg in Holle bei Hildesheim
Von Christian Fuchs und Tanja Winter
Die heutige Schlossanlage
Die dreiflügelige Schlossanlage um den ehemaligen Klosterhof liegt auf einer Anhöhe im Ortsteil Derneburg der Gemeinde Holle im Landkreis Hildesheim. Das Schloss ist von zahlreichen Wirtschaftsgebäuden umgeben. Der dreigeschossige Ostflügel schließt die Anlage nach Osten hin zum Domänenhof ab und wird am südlichen Ende von zwei achteckigen Türmen flankiert. Der zweigeschossige Abteiflügel setzt am nördlichen Ende des Ostflügels an und bildet die Verlängerung des Nordflügels.
Das ursprüngliche Kloster
Vom ursprünglichen, mittelalterlichen Kloster sind heute im Gebäude nur noch wenige Spuren zu finden. Ausschachtungsarbeiten im Zuge der Umbauarbeiten 2013 legten im verfüllten südlichen Teil des Sockelgeschosses des Ostflügels Mauerwerksstrukturen sowie den Ansatz eines Gewölbebogens frei, die weder mit dem barocken Bau, noch mit den späteren Umbauten in sinnvollem Zusammenhang stehen. Ähnlich verhält es sich mit zwei zugesetzten Rundbogennischen auf Höhe des heutigen Fußbodens in der Südwand des Erdgeschosses. Beide Befunde verweisen wahrscheinlich auf den vorneuzeitlichen Baubestand. Eine nähere Beschreibung der hier überkommenen Bauteile ist jedoch angesichts der fragmentarischen Befundlage nicht möglich. Seit der Gründung zum Anfang des 13. Jahrhunderts ist ein häufiger Benutzerwechsel im Kloster zu verzeichnen. Nach der Belegung anfänglich durch Augustinerinnen folgten zur Mitte des 15. Jahrhunderts Zisterzienserinnen, die einhundert Jahre später von einem evangelischen Damenstift abgelöst wurden. Anfang des 17. Jahrhunderts dienten Teile der Anlage zwischenzeitlich gar militärischen Zwecken. Die immer wieder hohe Verschuldung des Klosters sowie die unterschiedliche Nutzung führten zu einer offenbar so starken Vernachlässigung der Gebäude, dass man sich um 1700 für einen weitgehenden Abbruch der alten Gemäuer entschied. Nur wenige verwertbare Strukturen gingen in den nun folgenden Neubau ein.
Der Klosterneubau um 1700
Die heutige Anlage geht weitgehend auf den vollständigen Klosterneubau unter dem Zisterzienserabt Arnu um 1700 zurück. Der Neubau wurde als Vierflügelanlage mit kreuzgradgewölbtem Kreuzgang um den Klosterhof ausgeführt. Alle heutigen Außenwände des Ostflügels, inklusive der Fensteranordnung und einiger Wände im Innenbereich, sind noch Bestandteil dieses Baus. Einzige Ausnahme stellen jene Fassadenbereiche dar, die 1846 nach Abbruch des Kreuzgangsüdflügels geschlossen wurden (Abb. 2). In diese Zeit fällt auch die Einrichtung und Ausstattung des großzügigen, über zwei Geschosse reichenden Kapitelsaals im Ostflügel. Der Saal war auf beiden Längswänden (östliche Außenwand und westliche Innenwand) mit raumhohen Wandpilastern und zahlreichen profilierten Stuckkartuschen versehen. Auf der nördlichen Querwand befand sich ein breiter offener Kamin, flankiert von großflächigen, rechteckigen Stuckkartuschen. Die südliche Querwand verfügte über einen mittigen, offenbar repräsentativen Zugang, von dessen Stuckdekor sich nur noch eine Volute erhalten hat. Die Untersuchungen machten es möglich, die bauzeitliche barocke Gestalt des Kapitelsaals weitgehend zu rekonstruieren. Diese zeichnerische Rekonstruktion zeigt einen offenkundigen Widerspruch zwischen den anspruchsvollen Dimensionen des Saals und dem vergleichsweise einfachen und unproportioniert erscheinenden Dekorationsschema. Die Ostwand des Saals wird von der rigiden Anordnung der zweigeschossigen Fensterachsen dominiert. Dies führt dazu, dass sich der Raum, trotz seiner beeindruckenden Ausmaße, in keiner Form nach außen hin artikuliert. Die Stuckkartuschen beidseitig der Fenster sind zwischen Fensterlaibung und Kolossalpilaster gezwängt und verstärken den Eindruck einer nachträglich eingebrachten Wandgestaltung. Es lässt sich an Hand der Baubefunde und der Literatur jedoch nicht nachweisen, ob der Einbau des Kapitelsaals zeitgleich mit dem Klosterneubau um 1700 oder erst etwas später erfolgte; grundsätzlich ist der Ostflügel jener Bauteil, in dem ein Kapitelsaal zu erwarten wäre. Für spätere Einbauten zur Raumunterteilung wurden im 19. Jahrhundert weite Teile der barocken Stuckaturen teilweise entfernt oder durch diese verdeckt. Mit Entfernung dieser Einbauten und durch den Abbruch der Zwischendecke ist der Saal heute wieder erfahrbar, auch wenn die Kapitelle der Wandpilaster vollständig fehlen und die ursprüngliche Deckenform im Unklaren bleiben muss.
Der Abteiflügel
Der Abteiflügel wurde nachträglich, jedoch wahrscheinlich noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, an den bereits bestehenden Ostflügel angefügt. In einer zweiten Phase – ebenfalls im 18. Jahrhundert – erfuhr der Flügel mit dem Einbringen der aufwändig gestalteten Holztreppe sowie der Einführung von Stuckaturen, beispielsweise entlang der verputzten Deckenbalken, eine Aufwertung. Wie im Rahmen der Untersuchungen nachgewiesen werden konnte, wurde die barocke Holztreppe an dieser Stelle erst in Zweitverwendung und unter Verwendung von Versatzstücken eingebaut. Sie könnte aus dem Klosterneubau von um 1700 stammen. In der Bauaufnahme von Bauinspektor Frische aus dem Jahr 1815 ist sie als Bestand vermerkt. Insgesamt ist im Abteiflügel die bauzeitliche Raumunterteilung noch in weiten Teilen erhalten. Gleiches gilt für einige barocke Türbekleidungen und Türblätter sowie vereinzelte Beschläge.
Die Bauaufnahme von 1815
Nach Auflösung und Säkularisierung des Klosters im Jahr 1803 (die zwischen 1735 und 1749 errichtete Klosterkirche blieb bis 1815 als Pfarrkirche erhalten) ging im Jahr 1814 das gesamte Anwesen als Geschenk des Landes Hannover an den Grafen Ernst Friedrich Herbert zu Münster. Dieser ließ durch Bauinspektor Frische umgehend eine Bestandsaufnahme anfertigen, so dass für diesen Zeitpunkt sehr zuverlässiges Planmaterial vorliegt. Die Bausubstanz war offenbar wiederum in schlechtem Zustand. In den Akten finden sich zahlreiche Hinweise auf schadhaftes Gebälk, fehlende Fenster und eingestürzte Kornböden. Im Anschluss an die Erfassung der Gebäude begannen zeitnah die Instandsetzungsarbeiten. Zu den wesentlichen Umbauten zählte die Ausdehnung eines wahrscheinlich schon zu napoleonischer Zeit in der Sakristei eingerichteten Pferdestalls auf das gesamte Erdgeschoss des Ostflügels. Dafür wurden die repräsentative Barocktreppe sowie die Kreuzgangwand mit zugehörigem Gewölbe über die gesamte Länge des Ostflügels abgebrochen und anstelle der Wand runde Holzstützen eingefügt. Diese gingen in die später neu errichtete Trennwand zum Kreuzgang ein und sind auf deren Ostseite noch zu erkennen. Ferner wurde der Kapitelsaal durch eine Zwischendecke horizontal geteilt und kleinteilig in Räume untergliedert. Wie historische Fotoaufnahmen zeigen, blieb die Stallnutzung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts erhalten und erst Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Kreuzgang wieder rekonstruiert.
Georg Ludwig Friedrich Laves in Derneburg
Ein weiterer massiver Eingriff in die Bausubstanz fand in zweiter Generation der Familie Münster unter Beteiligung des Hofarchitekten Georg Ludwig Friedrich Laves im Jahr 1846 statt. Die bis dahin noch vorhandene Klosterkirche wurde (zu zwei Dritteln) ebenso wie der südliche Kreuzgangflügel abgebrochen, sodass nunmehr die heute noch erhaltene Dreiflügelanlage entstand. Der massive Turm mit Pagodendach besteht im Kern aus dem westlichen Drittel der ehemaligen Klosterkirche. Gemeinsam mit den nun angefügten flankierenden Achtecktürmen am südlichen Ende des Ostflügels entstand das heutige Bild eines Schlosses im englischen Stil.
Die zweite Hälfte des 18. Jahrhundert und das Schloss als Lazarett
Weiterhin unter der Familie von Münster erfolgten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts je nach Erfordernis weitere Raumunterteilungen vornehmlich in den oberen Geschossen. Alle Wände wurden als Fachwerkkonstruktion mit Lehmausfachung hergestellt. Die kleinteilige Raumstruktur bot sich im Zweiten Weltkrieg zunächst als Lazarett-, später als Flüchtlingslagernutzung an. Der aufwändige Lebenswandel der Grafen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hatte zu hoher Verschuldung geführt, sodass die ursprünglich gewaltigen Besitztümer in Einzelteilen veräußert werden mussten. Das Schlossgebäude ging 1975 an den Künstler Georg Baselitz und 2006 an den heutigen Eigentümer.
Zum Weiterlesen:
- Das Derneburger Mausoleum im Denkmalatlas Niedersachsen
- Dolle, Josef (Hrsg.), Niedersächsisches Klosterbuch, Teil 1, Bielefeld 2012, S. 323 ff.
- Strube, Nicolaus, Ästhetische Lebenskultur nach klassischen Mustern, Der hannoversche Staatsminister Ernst Friedrich Herbert Graf zu Münster im Lichte seiner Kunstinteressen, Hannover 1992, S. 169 ff.
- Haase, Carl (Hrsg.), Das Leben des Grafen Münster (1766-1839), Aufzeichnungen seiner Gemahlin Gräfin Wilhelmine, geb. Fürstin zu Schaumburg-Lippe, Göttingen 1985, S. 45 ff.
- Niedersächsisches Landesarchiv Hannover, diverse Akten, vor allem Mappe 473 mit Plänen von Bauinspektor Frische (1815) und Architekt Laves (1846).
Abbildungsnachweise:
- 1–4 winterfuchs
- 5 Niedersächsisches Landesarchiv Hannover, Kartensammlung Mappe 473 Bl. 1
- 6 Niedersächsisches Landesarchiv Hannover Dep.1 10C Nr. 122 aus dem Fotoalbum des Grafen Georg Herbert zu Münster