Gebietsfreischaltung in der Bau- und Kunstdenkmalpflege: Die Stadt Stade

Von Christoph Palmen

Stade hat sich als schwedische Festung und Fachwerkstadt des 17. und 18. Jahrhunderts gut erhalten. Die tausendjährige Hansestadt an der Schwinge bildet das historisch-kulturelle Zentrum des Elbe-Weser-Dreiecks zwischen Bremen und Hamburg. Seit dem Westfälischen Frieden war Stade Regierungssitz der Herzogtümer Bremen und Verden, zunächst schwedische Landesfestung, später Provinzhauptstadt Hannovers und bis 1978 Regierungssitz des Regierungsbezirks Stade. Knapp 500 gelistete Denkmale liegen im Gebiet der Stadt Stade.

Bereits im Frühmittelalter entstanden verschiedene Siedlungen entlang der Schwinge. Der Überrest einer Wallburg aus dem siebten Jahrhundert mit einer hölzernen Uferbefestigung findet sich im Ortsteil Groß Thun. Im Bereich der heutigen Altstadt entwickelte sich um das Jahr 800 ein Ufermarkt, der eine dauerhafte Besiedelung begründete und ab ca. 900 durch eine Burg geschützt wurde. Dorthin verlegten die Harsefelder Grafen ihren Sitz und über mehrere Bauphasen entwickelte sich ein bis heute vorhandener Burgberg, der Spiegelberg. Erste schriftliche Erwähnung findet Stade (»Stethu«) infolge eines Wikingerüberfalls im Jahr 994.

Der Stader Hafen, unweit der Elbe, entwickelte sich zu einem Handelsplatz von überregionaler Bedeutung. 1038 erhielt das Erzbistum Bremen das Recht, in Stade einen Markt mit Münze zu errichten; der Ort wurde zu einem Sitz der Bremer Erzbischöfe. Mit einer Kapelle im gräflichen Bezirk und einer Kirche im bischöflichen Bezirk entstanden im 11. Jahrhundert die Vorgängerbauten der Ratskirche St. Cosmae und der Bischofskirche St. Wilhadi. Unter Einfluss Heinrichs des Löwen wurden im 12. Jahrhundert der gräfliche und der bischöfliche Bereich zusammengeführt und mit Wall und Graben umgeben. Im Laufe des 13. Jahrhunderts erhielt Stade das Stadtrecht, das Stapelrecht, eine eigene Verfassung und wurde 1267 Mitglied der Hanse. Alle von der Nordsee kommenden Schiffe mussten ihre Waren in Stade zum Verkauf anbieten. Der Aufstieg der Stadt und deren wachsende Bedeutung führten zu Stadterweiterungsmaßnahmen um etwa ein Drittel der Fläche. Es entstand der bis heute gültige Stadtgrundriss. Um 1300 erfolgte der Ausbau des Hafenbeckens, damals mit hölzernen Kaimauern. Lage und Grundriss stimmen bis heute mit dem Hafen am Fischmarkt überein.

Im 16. Jahrhundert stagnierte der Handel und Stade verlor gegenüber dem Konkurrenten Hamburg an Bedeutung. Die dauerhafte Ansiedlung einer englischen Tuchhandelskompanie (Merchant Adventurers) trug zur Belebung des Stader Handels bei, traf jedoch auf Widerstand der konkurrierenden Hanse und führte 1601 zum Ausschluss aus dem Verbund. Das Traufenhaus in der Bäckerstraße 1/3 von 1590 zeugt vom Reichtum der Tuchhändler.

1645 eroberten die Schweden die Stadt, wobei die für den Handel bedeutende Harschenflether Vorstadt zerstört wurde. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden die vereinigten Herzogtümer Bremen und Verden dem Königreich Schweden zugesprochen und Stade wurde Regierungssitz und schwedische Provinzhauptstadt. Schwedischer Generalgouverneur war Hans Christoph von Königsmarck, dessen Familie später im Haus Große Schmiedestraße 23 residierte. Damit begann eine fast 70 Jahre währende schwedische Herrschaftszeit, welche das Aussehen der Stadt bis heute prägt. Zum Einen wurde Stade Garnisonsstadt und als schwedische Landesfestung ausgebaut. Der Ausbau erfolgte nach Plänen des bedeutenden schwedischen Festungsbaumeisters Graf Dahlberg und erstreckte sich in mehreren Bauphasen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Das den Stadtkern umschließende Bastionärsystem aus Wallanlagen mit Stadtgraben und Außenwerken ist in seinen Grundzügen bis heute vorhanden (z.B. Güldenstern-Bastion, Adolf-Ravelin). Zum Anderen zerstörte 1659 ein großer Stadtbrand zwei Drittel der Stadtfläche und vernichtete zu großen Teilen das mittelalterliche Stade, darunter auch das Rathaus und die Innenausstattung der Kirchen (Ausnahme: Gertrudenaltar in St. Cosmae). Der Wiederaufbau erfolgte auf dem alten Stadtgrundriss und zum Teil über den Kellergewölben der vorigen Bebauung. 1668 wurde das neue Rathaus fertiggestellt. Die Kirchen erhielten neue Dächer und Türme durch den Zimmermeister Andreas Henne. Bedeutend sind insbesondere die neu geschaffenen Orgeln, die für St. Cosmae von Berendt Hus und Arp Schnitger 1669-73 gebaut wurde und für St. Wilhadi von Erasmus Bielfeldt stammt (1731-35). Die Schweden prägten das Bild der Stadt nicht zuletzt auch durch große militärisch genutzte Neubauten, zu denen neben dem Zeughaus (1697/99) auch der Schwedenspeicher, das Provianthaus der Garnison (1692/1704), zählt.

Im Rahmen des Großen Nordischen Krieges bombardierten 1712 dänische Truppen die Stadt von Süden und zerstörten große Teile der Bebauung Am Sande, darunter das Kloster St. Marien. Die schwedische Besatzung musste nach einmonatiger Belagerung kapitulieren und die Stadt Stade dem dänischen König übergeben. 1715 gelang es dem Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg, seit 1714 in Personalunion mit Großbritannien, die Herzogtümer Bremen-Verden der dänischen Krone abzukaufen und so wurde die Stadt Stade Sitz der hannoverschen Provinzialregierung. Stade blieb mit wenigen Unterbrechungen für rund 150 Jahre hannoversche Garnisonsstadt. Die Verbesserung der Festungsanlagen zielte nun auf ausgedehnte Vorwerke, um feindliche Kanonen auf Distanz zu halten (südliches Neuwerk). Auf dem Sand wurde anstelle des zerstörten Klosters 1734-37 nach Plänen des Ingenieur-Kapitäns Cornelius Gottlieb Treu ein Paradeplatz mit neuen Kasernengebäuden angelegt, der 1764 mit Baumreihen umsäumt wurde. Die Kaserne entlastete die zum Teil verarmte Bevölkerung von der privaten Einquartierung der Soldaten. Das Beamtentum und der Adel bauten entlang der Großen Schmiedestraße repräsentative Stadthäuser.

Verbesserungen gab es im Straßenbau (Pflasterung der Straße nach Bremervörde ab 1840, nach Ritzebüttel 1856) und durch den Hafenausbau an der Schwingemündung (Zollhaus und Wache Brunshausen, ab 1840 mit Dampfschiffverbindung nach Hamburg). Bereits 1796 wurden Teile der Vorwerke wieder eingeebnet. Das neue Militärhospital von 1857-58 wurde aus Platzmangel vor den Toren der Stadt errichtet. Zunehmend behinderten die Festungsanlagen die wirtschaftliche Entwicklung und räumliche Ausdehnung. Die bewachten Stadttore blockierten den Verkehr und schirmten die Stadt vom Umland ab. Doch die hannoversche Militärführung wollte die Stader Festung als Stützpunkt am nördlichen Rand des Königreichs nicht aufgeben. Erst als 1866 mit einem kampflosen Einmarsch preußischer Truppen die Herrschaft des Königreichs Hannover in Stade endete, konnte die Entfestigung in Angriff genommen werden. Stattdessen entstand das neue Artilleriefort Grauerort direkt an der Elbe (1868-73).

Die erste Phase der Entfestigung ab 1879 unter Bürgermeister Neubourg umfasste die Niederlegung der Hohentorsbastion mit Begradigung des Festungsgrabens, davorliegend einen Eisenbahnanschluss in Richtung Harburg (1881) und Cuxhaven (1882), den Neubau der Hohentorsbrücke (1880) sowie den Bau des Regierungsgebäudes (1887-89) für die preußische Regierung in Stade, die als niedersächsische Bezirksregierung bis 1978 bestand. Gleichzeitig erfolgte der Bau eines neuen Hafens vor dem Salztor. Auf zahlreichen Arealen siedelten sich neue Unternehmen an, darunter die Saline 1872, eine Brauerei in der Bremervörder Straße 1890, ein Sägewerk und eine Lederfabrik 1896. Westlich des Hohen Tors wurde das Areal der Gründel-Bastion neu mit qualitätvoller Wohnbebauung besetzt (z.B. Neubourgstraße 4, Gründelstr. 2, Wallstraße 19), ebenso der Ravelin vor dem Kehdinger Tor (z. B. Parkstraße 1, 4, 6, Freiburger Straße 1). Neben Villenbebauung entstanden zahlreiche öffentliche Bauten entlang der ehemaligen Stadtbefestigung, darunter die Taubstummenanstalt 1883-84 (heute Volkshochschule), die Volksschule am Burggraben 1888/89, das Gymnasium 1899/1901 sowie das Museum 1903-04.

Eine zweite Phase der Entfestigung stand in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg unter dem Einfluss der Heimatschutzbewegung, die in Stade unter Bürgermeister Jürgens zu einer besonderen Ausprägung gelangte. Im Vordergrund stand nun der Erhalt der Bastionen, sowohl als historische Denkmale, aber auch als Grünanlagen und zur „landhausmäßigen Bebauung“. Bei der Restaurierung des Rathauses wurde Alfred Lichtwark zu Rate gezogen und der Aufbau eines Freilichtmuseums auf dem Bleicher-Ravelin (Insel) erfolgte 1911-14 nach Emil Höggs Vorgaben. Reformorientierte Architekten wie Hugo Wagner und Fritz Höger bekamen Gelegenheit in Stade zu bauen (Haushaltungsschule, Haus Wallstraße 27, Landwirtschaftsschule). Von 1912 bis 1928 übernahm der Altonaer Baupfleger Werner Jakstein die Stader Bauberatungsstelle und prägte zahlreiche Neubauten der Stadt, wie das Eichamt Beim Schiffertor 6.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Stader Garnison abgezogen. Insbesondere südlich der Altstadt entstanden neue Wohnsiedlungen durch Baugenossenschaften. Eingemeindungen erweiterten das Stadtgebiet bis an die Elbe (Stadersand 1924 und Campe 1926). In den dreißiger Jahren intensivierte sich das Baugeschehen, unter anderem erneut durch Militärbauten (Wehrbezirkskommando, Flugüberwachung des Fliegerhorstes).

Baudenkmale aus der Zeit nach 1945 wurden bislang nicht inventarisiert. Seit der Nachkriegszeit gingen einige Baudenkmale verloren (u. a. Teile der Kurhannoverschen Kasernen, die östliche Bebauung der Großen Schmiedestraße, das alte Gymnasium, die Wassermühle), dennoch entging Stade in den 1960er Jahren einer verlustreichen Flächensanierung, da die großangelegte Altstadtsanierung in die 70er und 80er Jahre fiel, als zunehmend im Sinne der Stadtreparatur agiert wurde. Der Ausbau des Straßenverkehrs entlang der alten Befestigungsanlagen zu einer geschlossenen Ringstraße wurde mit dem Bau der Hansebrücke 1978-80 abgeschlossen. Teile der Innenstadt wurden vom Autoverkehr befreit. Trotz verlustreicher Kernsanierungen wurden während der Altstadtsanierung Charakter und Stadtgestalt weitestgehend bewahrt.

 

Zum Weiterlesen:

Stadt Stade (Hg.): Stade – Von den Siedlungsanfängen bis zur Gegenwart, Krause Druck, Stade 1994

Oskar Karpa (Hg.): Die Kunstdenkmale der Stadt Stade, Deutscher Kunstverlag, München 1960

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